- Die Automation in Kanzleien schreitet voran
- Die Beratung durch einen Rechtsanwalt ist nicht automatisierbar
Die Digitalisierung wird in den kommenden Jahrzehnten bestimmen, wie wir arbeiten. Auch im Bereich der Rechtsberatung buhlen Anbieter neuer digitale Beratungsangebote um Aufträge. Doch nicht alles was glänzt, ist sein Geld wert. Ein Plädoyer für durchdachte Automation in der Anwaltskanzlei – bei der der persönlich Kontakt nicht verloren geht.
Von der Frage, ob Deutschland den digitalen Anschluss an bereits deutlich weiter entwickelte Länder schafft, wird abhängen, ob die deutsche Wirtschaft ein global Player bleibt. Ein Grundpfeiler der neuen Digitalwirtschaft ist der Netzausbau, der Unternehmen mit dem 5G-Netz neue Wertschöpfungsketten schon heute eröffnet.
Mit dem Taxi nach Polen
Dass hier noch viel zu tun ist, rechnete der Journalist Sascha Lobo kürzlich in einer TV-Talkshow am Beispiel der Kosten mobilen Internets vor: Wer aktuell in Berlin Mitte wohne und eine Staffel der Netflix-Serie „Dark“ mit seinen mobilen Daten schauen wolle, und auf Sparsamkeit bedacht sei, nehme sich ein Taxi nach Polen, schaue die Serie dort, und fahre danach zurück nach Hause. Das sei immer noch günstiger, als mobile Daten im deutschen Netz zu verwenden.
Während die Industrie noch an diesen Zuständen verzweifeln mag, haben Jura-Start-Ups und viele erfahrene Juristen die Zeichen der Zeit gehört und begonnen, dem Computer Aufgaben zu überlassen, die er in bestimmten Bereichen besser und schneller zu erfüllen vermag als ein Mensch.
Claudette
Mit guter Spracherkennungssoftware können beispielsweise Schriftsätze schneller formuliert werden und das geplante digitale Anwaltspostfach kann die Kommunikation mit dem Gericht effizienter machen. Das in dieser Richtung noch mehr möglich ist, zeigen Forscher der Universität Bologna. Sie haben mit „CLAUDETTE“ – kurz für „automated CLAUse DETecTEr“ mittels künstlicher Intelligenz einen Algorithmus entwickelt, der Anwälten das Überprüfen von AGB und Datenschutzrichtlinien in Zukunft erleichtern könnte: Das Programm prüft die teils hundertseitigen Dokumente und markiert sie dort, wo es rechtlich kritisch wird. Dem Anwalt erspart dies das Lesen irrelevanter Passagen. Er prüft mit seiner Expertise nur das für den Fall Wesentliche. So spart er Zeit, die er stattdessen in persönliche Mandantengespräche investieren kann.
Algorithmen
Wichtig ist bei Innovationen: Trotz aller Euphorie darf das Menschliche in der Rechtsberatung nicht verloren gehen. Wenn Algorithmen nicht mehr Hilfsmittel eines Anwalts sind, sondern dieser nur noch automatisch erzeugte Schriftsätze der Form halber unterschreibt, verliert die Beratung gänzlich ihren Wert. Anstatt ein vermeintlich günstiges Beratungsformular einer Online-Rechtsberatung auszufüllen, ist der Rechtsratsuchende besser beraten, von dem Geld in ein Restaurant essen zu gehen. Zwar löst keine der beiden Optionen seine Rechtsprobleme, doch bei einer der beiden hatte er einen schönen Abend.
Denn die vermeintlich effiziente Massenabfertigung von Fällen durch automatisierte Beratung hat mehrere entscheidende Nachteile gegenüber dem Besuch eines „echten“ Anwalts. Sie stellt nämlich im herkömmlichen Sinne oft gar keine echte Rechtsberatung dar. Nicht mal eine echte Rechtsauskunft wollen manche Angebote sein. Wer so etwas liest, sollte sich nicht über die Bescheidenheit des Anbieters freuen, sondern sich klar machen, dass der Anbieter für den Fehlschlag des Vorhabens nicht haften will.
The dark side
Der rechtliche Hintergrund: Automatisierte Rechtsberatung arbeitet in einer Grauzone. Das Rechtsdienstleistungsgesetz erlaubt außergerichtliche Rechtsberatung neben der klassischen Anwaltstätigkeit nämlich nur im Ausnahmefall. Eine davon sind Inkassodienstleistungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG. Obwohl in vielen Unternehmen automatisierter Rechtsberatung auch Anwälte arbeiten, lassen sie sich dennoch als Inkassounternehmen registrieren. Das Motto lautet: Provision kassieren bei Erfolg. Bezahlt wird nach Erfolgshonorar. Unserer Ansicht nach ist diese Praxis rechtswidrig, da diese Unternehmen sehr wohl die Rechtslage prüfen, um den Schleichweg Inkasso überhaupt erst nutzen zu können. Die derzeitige Rechtslage trägt das Geschäftsmodell vieler dieser Anbieter also nicht, da sie mehr tun, als Forderungen einzutreiben.
Bei einem echten Anwalt ist das anders: Eine Haftpflichtversicherung ist Pflicht und für fehlerhafte Beratung, die zu einem Schaden beim Mandanten führt, steht der Anwalt immer gerade. Bezahlt wird er im Normalfall nicht nach Erfolgshonorar. Es gelten die Bundesrechtsanwaltsordnung und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
Beratung mit TÜV-Plakette
Ein beliebter Werbeslogan von Anbietern automatisierter Rechtsberatung lautet, dass sie günstiger sind als herkömmliche Anwälte. Das mag in der Erfolgshonorar-Praxis stimmen, doch hier verhält es sich wie beim Autokauf: Wer einen gebrauchten Wagen günstig kauft, weil er nie gewartet wurde, zahlt unter dem Strich mehr als derjenige, der einen ähnlichen Wagen mit neuer TÜV-Plakette kauft. Wer sich für die günstige Variante entscheidet, riskiert nicht nur, nicht ans Ziel zu kommen, sondern auch im Nachhinein höhere Kosten zu haben als der, der auf echte Beratung setzt. Was hat ein Mandant schon davon, anfangs ein paar Euro zu sparen, um am Ende den Rechtsstreit zu verlieren? „Anwaltskosten“ fallen bei diesen Unternehmen dann nicht an, doch der verfolgte rechtliche Anspruch geht unwiederbringlich verloren. Passt die Standardlösung nicht, ist die Lösung komplexer, verliert bei automatisierter Rechtsberatung der Mandant.
Be Human
Besonders in komplexen Fällen muss Rechtsberatung nicht immer zu einer Klage führen. Im persönlichen Gespräch kann ein Fall vollständig ausgerollt werden und gemeinsam analysiert werden. Das ist die DNA der Kanzleiarbeit. Oft zeigt sich nämlich im Gespräch vor Ort, dass eine Klage aussichtslos wäre oder ein anderer Weg zielführender – und günstiger – als der zum Gericht. Ein Online-Portal wird sich darüber keine Gedanken machen und stoisch die Klage einreichen.
Ein Anwalt hingegen kann vermitteln zwischen den Parteien. Er kann als Parteianwalt oder auch als neutrale Instanz, bspw. als Mediator, scheinbar festgefahrene Konflikte auf zwischenmenschlicher Basis lösen. So haben beide Streit-Seiten etwas davon und einer Zusammenarbeit in Zukunft steht nichts im Wege. Ein automatisierter Schriftsatz hingegen wird kaum jemals einen Menschen vom Kriegspfad abbringen.