Massenware Fachanwaltschaft – genug ist genug!

copyrightzeichen_verlaufenSeit einiger Zeit kann der geneigte Anwalt drei Fachanwaltschaften führen. Ich frage mich ernsthaft wozu. Welchen Wert hat heutzutage eine Fachanwaltschaft noch?

Ein Drittel aller Bewerber, die sich bei uns auf eine freie Stelle als Rechtsanwalt beworben haben, haben den theoretischen Teil für ein oder zwei Fachanwaltschaften in der Tasche, obwohl sie noch keinen einzigen Tag als Anwalt gearbeitet haben. Ich wette, dass jeder Anwalt, der in seinem Bereich über 10 Jahre gearbeitet hat, mehr Erfahrung und Fachwissen, als die meisten frischgebackenen Fachanwälte hat. Dementsprechend sagt der Titel des Fachanwalts über die tatsächliche Qualifikation des jeweiligen Träger nichts aus. Es ist lächerlich, dass man im Jahr nur 10 Stunden Fortbildung nachweisen muss. Hier herrscht doch eh nur Anwesenheitspflicht. Ein Teil der Anwesenden, sitzen nur genervt ihre Zeit ab und beteiligen sich an keiner einzigen Diskussion.

Nach meinem Dafürhalten dient eine Fachanwaltschaft ausschließlich einem Marketingzweck. Drei Fachanwaltschaften gleichzeitig scheint nicht zu genügen, inzwischen sind die Diskussionen darüber im Gange, ob man vier oder noch mehr Fachanwaltschaften gleichzeitig führen darf. Eine absolute Verwässerung liegt doch bereits jetzt vor. Wie viel „Experte“ steckt tatsächlich in einem Anwalt, der drei Fachanwaltschaften führt. Der Rechtssuchende ist ob der Flut verwirrt.

Wenn das so weitergeht, müssen wir ein Rangsystem, wie beim Bund einführen. Wer lediglich ein Basiswissen inne hat, ist Fachanwalt. Wer in die Materie tiefer eingestiegen ist, hat den Rang eines Oberfachanwalts und der wahre Kenner ist Hauptfachanwalt. Die Abzeichen für die Robe gibt’s gleich dazu.

Ich spreche mich klar gegen die Erweiterung der Anzahl der gleichzeitig zu führenden Fachanwaltschaften aus. Um der bereits eingetreten Verwässerung entgegenzutreten, bin ich dafür, dass man maximal nur noch zwei Fachanwaltschaften gleichzeitig führen darf.

Fröhliche Ostern allen Lesern und Kollegen.


Von Tobias Röttger

Blogger, YouTuber, Rechtsanwalt und Gesellschafter von gulden röttger | rechtsanwälte. Meine Steckenpferde sind das Geistige Eigentum, Social Media, Persönlichkeitsrechte, Internet und Musik.

4 Kommentare

  1. Aus schweizerischer Sicht ist für mich überraschend, dass Berufserfahrung in Deutschland keine Voraussetzung für die Fachanwaltschaft ist. In der Schweiz ist dafür ein Minimum an Berufserfahrung inklusive Gerichtserfahrung notwendig – Letzteres hat allerdings den Nachteil, das Prozessieren zu fördern, denn wer Fachanwalt werden möchte, muss Gerichtsfälle dokumentieren können.

  2. Auch in Deutschland muss eine praktische Erfahrung nachgewiesen werden. Allerdings machen viele den Lehrgang bereits während des Referendariats oder unmittelbar im Anschluss – ggf. auf Kosten der Jobcenter. Und dann liest man auf der einen oder anderen Kanzleiseite halt den Satz

    „Rechtsanwalt xy hat den Lehrgang zum Fachanwalt für Blödrecht erfolgreich absolviert.“

  3. Warum so negativ?

    Erstmal: Jeder Fachanwalt hat eine ordentliche Anzahl von Fällen auf dem Spezialgebiet hinter sich, bevor er sich als FA bezeichnen darf. Das sind mal mehr, mal weniger. Strafrecht zB 40 Verhandlungstage vor einem Schöffengericht oder höher in 3 Jahren. Im Sozialrecht sinds 60 Fälle in drei Jahren aus drei Sparten der SV und SozR. Klingt nicht so verkehrt, oder?

    Natürlich sind Berufsanfänger besonders geeignet, solche Lehrgänge mitzumachen. Sie haben meistens mehr Zeit als ein voll eingespannter Anwalt mit florierender Kanzlei. Sie haben meist auch weniger Wissen, also lohnt es sich doppelt, die theoretischen Grundlagen eines Spezialgebiets abseits dem täglichen Nachschauen im Kommentar zu lernen.

    Was hier beim Autor natürlich zwischen den Zeilen rausschimmert, ist sicherlich durch den erhöhten Wettbewerbsdruck zu erklären. Gerade junge Anwälte sind recht zielstrebig dabei, Nischen zu besetzen. Das bedeutet dann natürlich, dass der Profit der alten Hasen regelmäßig sinken wird.

    Es besteht kein Hindergrundsgrund, warum man zB nicht auf den absolvierten Lehrgang hinweisen soll. Kann ja auch interessant für den Mandanten sein, dass der junge Anwalt vor ihm nicht ganz Blau in Sachen Medizinrecht oder Agrarrecht ist. Und natürlich fehlen jungen Anwälte die Erfahrungen aus vielen Jahren der Berufstätigkeit. Aber so hat jeder mal angefangen, von daher ist das auch kein fehlendes Qualitätsmerkmal. Und wie man Mandanten und ihren Fall richtig behandelt, dafür gibts ja auch einen Vorbereitungsdienst, wo man so einiges mitnimmt bzw. auch sieht, wies nicht gehen sollte.

    Von daher kann ich das Gerede von den schlimmen unerfahrenen Junganwälten nicht mehr hören. Wer gut ist, wird auch mit Konkurrenz fertig. Kein Grund die Konkurrenz unsachlich niederzuschreiben.

  4. Fachanwaltschaft in Medien- und Urheberrecht (Presserecht) gaukelt Kompetenz vor.

    Tatsächlich erhält ein Fachanwalt für Medien- und Urheberrecht (Presserecht) nur das Wissen und die Kenntnisse, die blind machen, und der Zensurrechtsprechung Vorschub leisten.

    Nach Erhalt der Fachanwaltitels verlieren die meisten Anwälte das Interesse an juristischer Kreativität. In den Vordergrund treten die anwaltlichen kommerziellen Interessen .

Kommentare sind geschlossen.