Medien berichten über die Abschaffung der Störerhaftung. Wird hier voreilig berichtet?
Die sogenannte Störerhaftung ist weit verbreitet. Man findet sie im Urheberrecht, im Medienrecht und sogar im öffentlichen Recht. Dort gibt es bspw. den Zustandsstörer, der tätig werden muss, wenn ein Fass Öl auf sein Grundstück rollt und ausläuft, auch wenn er nichts dafür kann.
Die Störerhaftung macht also durchaus auch Sinn.
Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und die Störerhaftung in vielen Gesetzen eingepflanzt. Dort gedeiht sie prächtig und trägt auch Früchte.
Dennoch gab es auch einen gewissen Konflikt mit der Störerhaftung und dem technischen Fortschritt. Wie sollte sich das frei zugängliche WLAN verbreiten, wenn die Anbieter für das Surfverhalten der Nutzer haften sollen?
Die Haftung musste also weg!
alter Referentenentwurf
Ein haftungsfreies WLAN wurde gewollt und ist auch aktuell in weiten Teilen sicherlich mit mehr Vor – als Nachteilen ausgestattet. Zur Realisierung des Ganzen gab es ja bereits einen Referentenentwurf. Dieser sah bisher vor, die Anbieter lokaler Netzwerke im Falle eines Verstoßes aus der Haftung rauszunehmen. Voraussetzung war allerdings, dass die Anbieter im Vorfeld zumutbare Maßnahmen hätten ergreifen müssen, um Verstöße zu verhindern (Passwort-Verschlüsselung, Vorschaltseite bspw.).
unser Mitarbeiter Dirk Buchhalla hat in Berlin nachgefragt
Das soll nun wegfallen – glaubt man den Aussagen der Politik. Zu einem Bundesvertreter haben wir Kontakt aufgenommen, man findet ja nichts Überprüfbares. Sein Name: Lars Klingbeil.
Herr Buchhalla hat gefragt, wie das denn genau geregelt werden soll mit der Abschaffung der Störerhaftung und was wohl die Rechteinhaber zu den neuen, offenen Möglichkeiten sagen werden.
Klingbeil antwortete zum Teil im Copy-Paste-Style, was man aber verzeihen möge, da er sehr viele Fragen gestellt bekam. Seine Antwort:
Mit der Klarstellung, dass WLAN-Anbieter Accessanbieter sind, wird zugleich klargestellt, dass diese auch die Haftungsprivilegierung vollumfänglich genießen – und auch keine weitergehenden Prüfpflichten als andere Accessprovider haben (etwa Verschlüsselung, Vorschaltseite, etc.).
Da das deutsche Recht keine Unterscheidung zwischen gewerblichen oder privaten Anbietern kennt, gilt diese Klarstellung für alle Betreiber, die ein freies WLAN anbieten als Internetzugangsanbieter.
Die Haftungsprivilegierung für Accessbetreiber umfasst horizontal jede Form der Haftung, also sowohl straf-, verwaltungs- wie auch zivilrechtlicher Haftung sowie die unmittelbare und mittelbare Haftung für Handlungen Dritter – also auch die Inanspruchnahme im Rahmen einer Abmahnung oder zur Zahlung auf Schadensersatz. So auch in aller Deutlichkeit der Schlussantrag des Generalanwaltes beim EuGH.
Quelle: Facebook
Wenn wir das also richtig verstehen, dann bedeutete dies, dass zumindest der Abmahnindustrie der Hahn abgedreht werden könnte, wenn alle Anschlussinhaber zu Accessbetreibern mutieren würden. Die Haftung für das Tun der Netzwerknutzer entfiele dann für alle, die ihr WLAN zu Verfügung stellen.
Der Hinweis, man sei WLAN-Anbieter könnte dann zur Annahme eines atypischen Geschehensablaufes führen mit der Folge, dass der Anschlussinhaber dann nicht haftet. Fraglich wäre dann, inwieweit er nicht haften würde, da bspw. die Pflicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung in der Regel verschuldensunabhängig ist, vgl. § 97 Absatz 1 S.2 UrhG.
Auf der anderen Seite muss man natürlich auch sehen, dass die Störerhaftung im Urheberrecht nicht durch eine Änderung des Telemediengesetzes abgeschafft werden kann. Wird das Lippenbekenntnis Gesetz, dann muss der Abgemahnte wohl auch künftig den Nachweis erbringen, dass er für die Tat nicht verantwortlich war.
Gibt es künftig keine Abmahnungen mehr?
Waldorf Frommer und Co. werden jetzt kalte Füße bekommen, ja. Aber dennoch werden die Abmahnungen nicht versiegen, da die Täter nicht abgeschafft werden. Sie würden sich aber erheblich verringern.
Abgemahnt wird ja auch weiterhin der Anschlussinhaber. Der wird auch künftig ermittelt werden. Wenn ich nun die Aussage Klingbeils als bare Münze nehme, dann müsste sich der Anschlussinhaber jedoch mit dem Hinweis entlasten können, dass er WLAN-Anbieter sei und nicht weiß, wer den Verstoß begangen haben könnte. Ich mag nicht recht dran glauben, dass dies zum Gesetz wird. Aber, man soll nie, nie sagen.
Fakt ist jedenfalls, dass sich auch der EuGH demnächst zu der Problematik äußern wird, ob ein Betreiber eines offenen WLANs für Urheberrechtsverletzungen haftet, die ein Dritter begangen hat, EuGH, C – 484/14. Das Ergebnis sollte die Bundesregierung abwarten, sonst könnte es passieren, dass das geplante neue Gesetz sofort wieder gekippt werden müsste.
Es erscheint mir fraglich, ob Sinn und Zweck europäischer Vorgaben eine Haftungsprivilegierung von Privatpersonen vorsehen oder doch nur von öffentlichen Einrichtungen und gewerblichen Anbietern. Das Telemediengesetz macht in der Tat keinen Unterschied zwischen einem privaten und einem gewerblichen Anbieter.
Fazit:
Anschlussinhaber, die künftig Rechtsverletzungen über ihren Anschluss begehen werden, werden auch weiterhin haften. Wer seinen Anschluss anderen Personen, ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung stellt, sollte sich dann nicht wundern, wenn es dann Abmahnungen hagelt. Mit dem Hinweis auf den Entwurf des „Zweiten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes“ wird er dann nicht weit kommen. Sollte alles wie derzeit angekündigt zum Gesetz werden, dann wäre die Accessanbieter-Eigenschaft eine weitere Möglichkeit, der Haftung zu entgehen, was aber im Einzelfall dargelegt werden müsste. Eine pauschale Enthaftung sehe ich derzeit nicht. Dies würde auch im Widerspruch zu bisherigen BGH-Rechtsprechung stehen. So bedarf es einer eindeutigen gesetzlichen Regelung, die aber auch europarechtskonform sei müsste.
Ich sehe hier auch keine Enthaftung, das ergibt – ich finde keinen besseren Ausdruck – rechtslogisch überhaupt keinen Sinn.
›[…] da bspw. die Pflicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung in der Regel verschuldensunabhängig ist, vgl. § 97 Absatz 1 S.2 UrhG.‹
Sind Sie sich hier sicher? Ich bin zwar nicht auf dem neuesten Stand, doch bezieht sich § 97 Absatz 1 S. 2 UrhG lediglich auf die Erstbegehungsgefahr.
Der BGH sagt in I ZR 35/04 zudem zur Störerhaftung:
›Als Störer haftet derjenige auf Unterlassung, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt.‹
Insoweit kann man nicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung verpflichtet werden, sondern erst dann, wenn das eigene Verhalten nicht schuldhaft war, beispielsweise durch fehlende Aufklärung der Teilnehmer im Netz.
Vor dem Hintergrund ergäbe auch die Abschaffung einer Störerhaftung keinen Sinn. Wahrscheinlich meinen die zahlreichen Schreiber, dass der Gesetzgeber irgendetwas konkretisieren möchte, was im Ergebnis dann im Regelfall dazu führte, dass die Anbieter eben nicht als Störer haften.